Direkt zum Inhalt

Alles, was Recht ist

Linda Freyberg mit dem Leitfaden zu Rechtsfragen in Citizen-Science-Projekten

Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Journal für Natur (Ausgabe 5/2021).

Citizen-Science-Projekte machen Spaß. Aber für Bürgerforschende stellen sich auch juristische Fragen: Bin ich versichert, wenn ich mich auf der Suche nach Wildbienen verletze? Wie steht es mit dem Datenschutz, wenn ich Dörfer kartiere? Ein Leitfaden klärt auf.

Mit Linda Freyberg treffe ich mich auf einem der Höfe des Museums für Naturkunde Berlin. Hier wimmelt es nur so von Stadtnatur: Im Sommer wohnte hier eine Fuchsfamilie, Kastanien fallen im Minutentakt, Wildbienen suchen die letzten Blüten des Herbstes. Ein Plätzchen wie geschaffen, um von Bürgerwissenschaftler:innen in ihre Projekte einbezogen zu werden, zum Beispiel zur Stadtnatur. Auf der Plattform buergerschaffenwissen.de, die im Oktober 2021 mit dem UN-World Summit Award-Germany 2021 ausgezeichnet wurde, finden sich zahlreiche Projekte zum Mitforschen: Forschung zu Sternenstaub, Transkription von alten Dokumenten, Mückenatlas, Lichtverschmutzung, Dörfer kartieren. Die Themen sind so divers wie die Menschen, die sich dafür engagieren.

Linda Freyberg hat Bibliotheks- und Informationswissenschaft studiert und in Kulturwissenschaften promoviert. Interdisziplinäre Themen haben sie schon immer interessiert, vor allem Wissenschaftskommunikation und Open Science. Zum Museum für Naturkunde Berlin fand Freyberg über das Thema Open Science, nachdem sie die Open-Access-Strategie für das Land Brandenburg mit erarbeitete. Unter dem Arm hat Freyberg den "Leitfaden für rechtliche Fragestellungen in Citizen-Science-Projekten". Das klingt erst einmal ziemlich trocken.

Citizen Science baut Brücken zwischen Wissenschaft und Gesellschaft

Citizen Science bietet Bürger:innen die Möglichkeit, aktuelle Forschungsfragen mitzugestalten und so an der Schaffung neuen Wissens teilzuhaben. Dabei gibt es verschiedene Grade der Einbindung: Viele Bürgerforschende liefern Fotos und Daten, andere füllen ihre Freizeit mit einem Ehrenamt aus und scannen an einem Museum Insekten. Bei dem Engagement gibt es so einige Fallstricke – und damit sind wir wieder bei dem Leitfaden für rechtliche Fragestellungen in Citizen-Science-Projekten. Schon beim ersten Durchblättern wird klar: Das ist nicht nur äußerst relevant, sondern auch richtig interessant.

Finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit einer Förderung von knapp einem Jahr wurde im Dezember 2020 der Leitfaden veröffentlicht. Zu der Zeit gab es schon lange die umfangreichsten und verschiedensten Citizen-Science- Projekte. Bei einem Workshop zeigte sich: Es gibt Citizen-Science-relevante Rechtsgebiete, große Unsicherheit in der Community und einen sehr großen Beratungsbedarf. Meist werden die Projekte zwar von Universitäten und Forschungseinrichtungen initiiert, teilweise gibt es auch Rechtsabteilungen – aber keine Rechtsberatung. Viele Bürgerforschende und Projektleitende brauchen gerade dieses und schnell: Einzelberatung zu ihrem speziellen Fall. Dabei können die "Fälle" in drei grobe Bereiche eingeteilt werden: Versicherungsschutz, Datenschutz, Urheberrecht. Genau in diese Kapitel ist der Leitfaden, der maßgeblich auf Gutachten von rechtlichen Expert:innen basiert, untergliedert.

Bin ich versichert, wenn ich mir als Bürgerwissenschaftlerin hier auf dem Hof bei der Suche nach der Wildbiene den Fuß verstauche und dabei noch die geborgte Lupe herunterfällt und zerbricht? Wenn ich das freiwillig mache, sagt Linda Freyberg, bin ich über meine eigene Versicherung abgedeckt. Aber wenn ich den Auftrag bekomme, genau an dieser Stelle früh um 9 Uhr die Insekten zu beobachten, dann hat es einen Auftragscharakter und die Rechtslage wird komplizierter. Der Rechtleitfaden stellt diese unterschiedlichen Modelle sehr anschaulich in seinen Grafiken dar, sodass Jede und Jeder sich in der einen oder anderen Form wiederfindet. Modelle des Tätigwerdens werden ebenso dargestellt wie die Frage, wer im Schadensfall haftet.

Wohin nun mit den gesammelten Daten? In vielen Projekten werden Smartphone-Apps verwendet, in denen man Fotos- und Audiodateien hochladen kann. Die am Museum für Naturkunde Berlin entwickelte Naturblick-App, über die das am Museum basierte Citizen-Science-Projekt Forschungsfall Nachtigall das Datensammeln ermöglichte, ist ein Vorzeigebeispiel für Datenschutz: Sie enthält eine ausführliche Einwilligungserklärung und Aufklärung der Nutzenden.

Naturblick App

Im Projekt Landinventur des Thünen-Institut für Regionalentwicklung e. V. geht es darum, Dörfer in Deutschland zu kartieren – wo gibt es im Dorf Läden, Kneipen, Häuser, welche Tiere leben dort und vieles mehr. Hier stellt sich die Frage nach dem Datenschutz. "Die Daten wurden zwar verschlüsselt und anonym aufgenommen und gespeichert, aber da jeder im Dorf jeden kennt, kann es schnell zu Datenschutzkonflikten kommen. Auf der anderen Seite wollten die Dörfer im digitalen Raum sichtbarer werden, um zum Beispiel mehr Gäste anzulocken", so Freyberg. Der Leitfaden zeigt nun auf, welche Grundsätze bei der Verarbeitung schützenswerter Daten und welche Persönlichkeitsrechte neben dem Datenschutz zu beachten sind.

Müssen bei Fotos, die in den Projekten hochgeladen werden, eigentlich die Namen der Fotograf:innen genannt werden? Dürfen Forschende Bilder aus der Bürgerforschung in Publikationen verwenden? Und wie wird das Engagement angemessen honoriert – indem alle Beitragenden namentlich genannt werden, etwa bei einer wissenschaftlichen Publikation? Diesen Fragen widmet sich unter anderem das Kapitel Urheberrecht.

Der Leitfaden baut Hürden ab und Rechtssicherheit auf. Da die Fragen nicht ausgehen werden und auch die Gesetzeslage sich ändern kann, wird Freyberg nun den Leitfaden in ein offenes dynamisches Dokument überführen, um die Beteiligung der Community sicherzustellen. Doch das ist erst der Anfang. Geplant ist am Museum für Naturkunde Berlin der Aufbau eines Kompetenzzentrums für Citizen Science, an dem Open Science ein Grundpfeiler werden soll und auch rechtliche Fragestellungen mitgedacht werden sollen.

Text: Gesine Steiner
Fotos: Pablo Castagnola